Gerd.
E. Schäfer - Förderung kindlicher Bildungsprozesse:
Sprachentwicklung
und Bedeutung des Spiels
Spielen
als Bildungsprozess
Schäfer
begründet seine Theorie auf der Eigenaktivität des Kindes. Mit dem
Satz „Wenn Kinder nicht spielen, langweilen sie sich“ definiert
er, dass Spielen eine Fülle von Tätigkeiten, die das Kinder- und
Erwachsenenleben durchziehen, mit einbaut. Die Kinder bauen, malen,
imitieren, übernehmen Rollen, wiederholen erlebte Situationen und
und ordnen bzw. reflektieren starke Eindrücke.
Gleichzeitig,
neben Beschäftigung und Vergnügen, hat Spielen demnach einen
Lerneffekt. Kinder können so leicht Prinzipien und Verhaltensweisen
lernen, die sie später zeigen sollen und müssen.
Es gibt dabei
zwei Möglichkeiten die Bildungsprozesse zu untersuchen.
Zum Einen kann
nach den Funktionen, die durch das Spielen aktiviert werden und zu
Anderen nach den Strukturen, die ein Verhalten zum Spiel machen,
gefragt werden.
Funktionen
des Kinderspiels
Kinder beziehen
in ihr Spiel alles mit ein. Sie machen so sinnliche, körperliche,
kognitive, emotionale und soziale Erlebnisse, die sich zu Fähigkeiten
entwickeln. Die Frage, die sich Schäfer gestellt hat, ist nun: Kann
Spiel eine bestimmte Aufgabe in der Ausbildung von Funktionen oder
Fähigkeiten übernehmen?
Dazu wurde das
Spiel psychologisch untersucht. Es scheint besonders wichtig für die
kognitive, emotionale und soziale Entwicklung des Kindes zu sein.
Im kognitiven
Bereich entwickelt das Kind logisches Denken und bekommt
Möglichkeiten seine Neugierde zu stillen und Neues auszuprobieren
oder zu erfinden.
Eine
Voraussetzung für Spiel ist nach Schäfer ein „mittleres
Erregungsniveau“. Dem Kind darf weder langweilig sein, noch darf es
sich durch das Spiel überfordert fühlen. Spielen hat ebenfalls
einen imaginativen Aspekt. Das Kind kann sich während des Spiels
verschiedene Wirklichkeiten vergegenwärtigen und so seine
Kreativität und Fantasie ausleben.
Im emotionalen
Bereich macht das Spiel es möglich, dass Kinder sich emotionale
Beziehungen vergegenwärtigen und sie strukturieren können. Spiel
kann sogar dazu beitragen sie zu Bewältigen. Somit kann das Spielen
als Selbstheilungsfunktion für emotionale Probleme fungieren.
Schäfer stellt
fest, dass Kinder vermutlich aufhören würden zu spielen, wenn es
dabei nur um das Lernen von bestimmten Fähigkeiten gehen würde.
Spiel gilt für die Kinder auch (und vor allem) als Erholung. Spielen
ist für Kinder demnach keine Ausbildung. Schäfer setzte sich auf
dieser Basis mit den Fragen: Müssen Kinder spielen, um diese
Kompetenzen zu erwerben? und Was macht das Spiel zu Spiel?
auseinander.
Grammatik
des Spielens
Das Kinderspiel
ist frei von äußeren Zwängen und verfolgt keine bestimmten Ziele.
Es erzeugt, während eines bestimmten Zeitraums, Spannung und
Motivation und hat aber immer einen Anfang und ein Ende.
Im Spiel ist es
außerdem möglich, dass Gegensätze und Widersprüche bestehen
bleiben. Das Spiel entsteht durch Vorstellungskraft und Fantasie,
wobei der intermediäre Raum („psychischer Zwischenraum“) das
Spiel aus Wirklichkeit und Fantasie vereint. Allerdings hat das Kind
eine eigene Vorstellung der Wirklichkeit. Im Spiel kombiniert es
seine bekannten und vorgestellten Wirklichkeiten und Wünsche. Das
Spiel ist prägend für die frühe Kindheit, weil das Kind so das
Erfassen, Lernen und Ausprobieren von verschiedenen Wirklichkeiten
lernt, dabei aber noch nicht die „Gesetze der Wirklichkeit“
berücksichtigen muss. Es gibt einen Spielraum zwischen der
Auseinandersetzung mit Wunschwelt und Wirklichkeit und der
Wirklichkeit, die mehr oder weniger die eigenen Wünsche erfüllt.
Kinder erfahren
durch das Spiel die Wirklichkeit und inwiefern sie ihre eigene
Wunschwelt in diese mit einfließen lassen können. Utopie und
Realität werden mit einander versöhnt.
Das Spiel ist
also eine Möglichkeit die Realität zu erfahren, ohne ihr gerecht
werden zu müssen. Außerdem zeigt es die Veränderung der
Wirklichkeit durch die eigenen Wünsche und macht es möglich neue
Wirklichkeiten und deren Konsequenzen auszuprobieren. Durch Spielen
richten Kinder sich eine Verhältnis zur Realität ein und versöhnen
die Notwendigkeiten der Wirklichkeit mit den persönlichen
Bedürfnissen. Die Voraussetzung dafür ist, dass Kinder Zeit und die
Möglichkeit bekommen auszuprobieren.
Vom
Ort des Spiels in der Beziehung zwischen Kind und Welt
Der Vorläufer
des Spiels ist die Nachahmung. Das Kind beginnt von seinem ersten Tag
an zu imitieren. Es streckt die Zunge heraus, öffnet den Mund und
schürzt die Lippen.
Ein wesentliches
Merkmal des Spiels ist es, dass es keine Unterschiede in der Art und
Weise, wie die Wirklichkeit wahrgenommen wird, gibt. Alle
Wahrnehmungsweisen finden gleichzeitig statt und werden miteinander
in Beziehung gesetzt. So erfahren die Kinder alles als Teil einer
erlebten Szene. Beim Spiel wird außerdem die vorgestellte
Wirklichkeit in Szenen gefasst. Dies geschieht schon an einem frühen
Entwicklungszeitpunkt und zeigt einfache Formen der Nachahmung und
die Erfahrung, Erlebnisse szenisch handelnd zu strukturieren.
Durch den
Eltern-Kind-Dialog werden ebenfalls Elemente des spielerischen
Verhaltens miteinbezogen. Kinder zeigen eine große Fragelust,
Wiederholen Dinge und machen dies in vielen verschiedenen Varianten,
beenden diese Phasen aber auch eigenständig wieder. Verlängert das
Kind den Dialog testet es seine Grenzen und erweitert diese, um so
seine Fähigkeiten zu steigern. So lernt es mehr Informationen
aufzunehmen und auf sie zu reagieren und sich zurückzuziehen, um
sein Gleichgewicht wiederzufinden, wenn es Erholung braucht.
Die Rolle des
Vaters nimmt dabei noch eine besondere Position ein, weil dieser zu
einem eher lebhaften und animierendem Spiel neigt und das Kind in
einen höheren Erregungsgrad versetzt, was auch wieder längere
Erholungsphasen voraussetzt. In diesem Spiel werden die Grenzen der
Möglichkeiten des Kindes erprobt und (ihm auch selbst) bewusst
gemacht. Es beobachtet und imitiert seine Umwelt. Später beginnt das
Kind sich in andere Rollen hinein zu versetzen und übernimmt deren
Gefühle (empathische Einfühlung) und nimmt sich so selbst „von
außen“ wahr.
Das Spiel
gewinnt an Bedeutung für die Abstimmung von Gefühlen und Affekten
zwischen den Erwachsenen und dem Kind. Das Kind beginnt die
Initiative zu ergreifen und die Eltern spiegeln zurück, wie sie das
Kind in einer Situation erleben. So zeigen sie nicht nur, was getan
werden soll, sondern auch, wie sie miteinander fühlen. Die Affekte
werden reguliert und dafür die Gefühle feiner abgestimmt.
Kinder beginnen
ebenfalls zeitlich verschoben nachzuahmen. Dafür sind die
notwendigen Voraussetzungen, dass das Kind eine Beziehung zu der
Person hat und die Verhaltensweisen anderer Personen in geeigneter
Weise in sich wiedergeben kann. Diese Wiedergabe muss gespeichert
werden. Außerdem muss das Kind die imitierten Handlungsmuster salbst
ausführen können.
So erlangen die
Kinder Wirklichkeitserfahrungen und lernen den Umgang mit der
Realität. Sie spielen mit den Erfahrungsmustern der Vergangenheit
und entwerfen bzw. erproben damit neue Möglichkeiten.
Mit der Zeit
wird das Spiel immer komplexer, da es lebende Darsteller (Mitspieler
mit einbezieht) und auch immer mehr Grundthemen des Lebens im Spiel
verankert werden (z.b: Fürsorge, Vertrauen, Angst, usw.). So werden
sie zum Bestandteil des kindlichen Innenlebens. Das Spielen stellt
daher einen Zwischenbereich zwischen Denken und Handeln dar.
Das
„Als-ob-Spiel“ beschreibt daher das Spiel von anderen Personen
unabhängig zu sein. Die Spielfiguren spiegeln die eigenen Gefühle
zurück und reagieren durch die Mitspieler. Das Kind geht mit den
eigenen Erfahrungen spielend-fantasierend und simulierend um und
bekommt so einen Kommentar zum eigenen Erlebnis.
Durch das Spiel
mit Gleichaltrigen kommt schließlich die eigene Unabhängigkeit und
die freiere Selbst- und Wirklichkeitserfahrung ins Spiel.
Anfänge der
Bildung sprachlichen Denkens
Laut Schäfer
bringen sich Kinder das Sprechen größtenteils selbst bei. Es gibt
Vorformen des sprachlichen Denkens vor dem eigenen Sprechen.
Zunächst bildet
das Kind eine Wahrnehmung für Sprache aus. Es lernt Laute zu
unterscheiden und Worte oder Sätze als Einheiten zu erkennen. Durch
die Schulung des Wahrnehmungsvermögens erkennt es dann spezifische
Klänge, Satzmelodien und Intonationsformen der Sprache.
Die Kinder
erkennen Laute, weil jede Sprache und jeder Dialekt seine eigenen
hat. Das Baby lernt an Klangfarben die Laute seiner Muttersprache
zuzuordnen und zu unterscheiden. Beherrschen die Kinder eine Sprache,
können sie die Grenze hören. Das Lernziel ist dabei das Klangbild
der Umgebung zu entziffern. Etwa ab dem dritten Monat können die
Babys verschiedene laute differenzieren, auch wenn sie nicht aus
ihrer bekannten Umgebung kommen.
Zu Beginn können
Babys alle möglichen Laute und Klänge von Sprache unterscheiden,
sie lernen aber mit der Zeit ihr Lautunterscheidungsvermögen auf die
Sprache ihrer Umgebung auszurichten. Dann kann das Kind zwar keine
universelle Unterscheidung zwischen Lauten mehr vornehmen, nimmt aber
die spezifischen Lautunterschiede seiner Muttersprache deutlicher
wahr.
Etwa ab dem
neunten Monat erkennen Kinder dann Wörter und Betonungsmuster der
Muttersprache. Sie identifizieren Sprachmelodien, die die Wörter für
die Kinder während des Sprechens abgrenzbar machen. So erlangt das
Kind Kenntnisse über die Lautkombinationen der Muttersprache.
Im zweiten
Lebensjahr und vor Beginn des eigentlichen Sprechens erkennen die
Kinder das Satzeinheiten und können diese unterscheiden. Sie sind
durch bestimmte Muster der Intonationen und durch Satzmelodien
strukturiert. Schäfer formuliert die Fähigkeiten des Kindes durch
folgenden Satz: „Kinder sind Laut-, Wort- und Satzmusiker noch
bevor sie ihre ersten Wörter sprechen“.
Das Prinzip
„Aus mehr mach weniger!“
Säuglinge
werden mit einer Vielzahl vorgegebener und innerer Verknüpfungen im
zentralen Nervensystem geboren. Ihre ersten Wahrnehmungserfahrungen
bestimmen, welche Verbindungen ausgewählt werden. Dies betrifft
jene, die sich in der Umwelt bewährt haben.
Im Bezug auf die
Grundlagen des Spracherwerbs bedeutet das, dass Kinder zunächst jede
Menge Laute unterscheiden können, sich das aber durch die
Spracherfahrungen auf die reduziert, die im Sprachumfeld anwesend
sind.
Der Verlust der
Überzahl an Unterscheidungsmöglichkeiten wird durch die
Feindifferenzierung in der Muttersprache aufgewogen.
Feindifferenzierung
und Reduktion bedeuten in diesem Kontext, dass das Kind zwar weniger
laute erkennen kann, diese aber genauer wahrnimmt. Der Rahmen, indem
das Kind die Laute erkennt wird demnach kleiner. Es folgt also eine
Binnendifferenzierung innerhalb dieses engeren Rahmens.
In der
kindlichen Entwicklung kann man die Anwendung dieses Prinzips sehen,
wenn die Kinder beginnen zu glucksen, zu brabbeln und zu lallen.
Zunächst gibt es dabei keinen Unterschied zwischen den Sprachen. Das
Brabbeln scheint eine willkürliche Kombination aus Vokalen und
Konsonanten zu sein, jedoch beginnt das Kind später für seine
Sprache charakteristische Laute von sich zu geben. Die Laute werden
unterschieden und daraus entwickeln sich sprachliche Einheiten mit
Bedeutungen, die von der Muttersprache geprägt werden. Das Baby ist
darauf vorbereitet seine Umwelt zu verstehen und muss dies auch, um
zu überleben.
Zur
Entstehung von Bedeutung beim Erwerb von Sprache
Durch
Beziehungen werden Gefühle gebildet und über diese erfasst das Kind
die Bedeutung eines Ereignisses. Auf der Ebene der Gefühle sind
daher Bedeutung und Beziehung miteinander verbunden.
Ein Ereignis
bekommt eine Bedeutung, wenn es an soziale Situationen geknüpft ist.
Die Aufmerksamkeit des Kinder wiederum wächst, wenn seine
Grundbedürfnisse befriedigt sind und das Kind noch nicht wieder müde
ist. Dann entsteht eine gelassene und neugierige Aufmerksamkeit für
die Umgebung.
Kinder nehmen
ihr Umwelt über sensomotorisch gelenktes, motorisches Handeln und
unvollständige Formen der Nachahmung inklusive ihrer individuellen
Variation, wahr.
Der
Ausgangspunkt dafür ist die Aufmerksamkeitsverhandlung. Mutter und
Kind kommunizieren etwa ab dem sechsten Lebensmonat miteinander. Das
Kind wird durch sie auf Gegenstände der Umwelt aufmerksam und diese
werden wiederum von der Mutter benannt. Auch wenn das Kind den
eigentlichen Sinn der Worte noch nicht verstehen kann, erkennt es
Laut- und Satzmelodien und bekommt eine Ahnung von Dialogen über
Dinge und Ereignisse seiner Umwelt. Die Bedeutung wird also aus dem
Handlungszusammenhang der gesamten Szene und der emotionalen
Bedeutung erschlossen. Durch Wiederholungen werden die Bedeutungen
des Gesprochenen immer leichter erfasst.
Die notwendige
Grundlage zum Verstehen von neuen Ereignissen ist der gemeinsame
Mikrokosmus aus Gesten, vertrauten mimischen Äußerungen und einer
ruhigen und positiv gestimmten Athmosphäre, aus der sich Neues
hervorhebt.
Nach diesem
Ablauf stehen Wörter schließlich in einem erfahrenen Zusammenhang
und ihre Bedeutung wird aus diesem erschlossen und nicht auswendig
gelernt. Deswegen ist der Eintritt in die Sprache ein wichtiger
Schritt zum symbolischen Denken.
Kommunikation
bedeutet über die eigenen Erfahrungen hinauszugehen und nicht mehr
nur auf subjektive Verständnishorizonte angewiesen zu sein. Das Kind
kann durch Sprache auf alles zurückgreifen, was eine soziale
Gesellschaft zur Interpretation von der Wirklichkeit, an Denkmodellen
bereitstellt.
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