Samstag, 3. Mai 2014

Mead

George Herbert Mead – Pädagogisches Denken und Handeln auf der Grundlage eines Verständnisses von Sozialisation als Rollenlernen

The self is born of society“

Sozialisation als Interaktion – die symbolische Mikro-Perspektive
Für George H. Mead ist Identität ein Zusammenspiel von Selbst- und Fremdbild, welches durch Interaktionen hergestellt wird. Die wichtigsten theoretischen Konzepte sind dabei die Rollenübernahme, das „ME und I“ und die Ich-Identität.
Mead spricht von der „Selbstwerdung“ durch Rollenübernahme. Identität ist die Internalisierung normativer Erwartungen von verschiedenen Faktoren. Rollen wiederum vermitteln Einstellungen, Werte, Normen und Glaubensüberzeugungen. Im extremsten Fall sorgen sie für eine Abhebung der aktiven Selbstleistung des Subjekts. Die Rollenidentität spiegelt die externen Erwartungen wider, jedoch setzt das Subjekt nicht nur externe Erwartungen um, sondern nimmt dazu auch interpretativ Stellung. Dies hat dann eine Rückwirkung auf andere Interaktionsteilnehmer. Diese rekonstruieren die gegenseitigen Aussagen und setzen sich und sie zu einander in Beziehung.
Die Interaktion stellt die Rekonstruktion des Verhaltens, Erlebens und der Erwartungen dar, die das Subjekt erfährt. Es kommt zu einem wechselseitigen Antizipieren von Erwartungen, welches der Ausgangspunkt für dialogisches Handeln ist. Die Rollenübernahme wird jedoch nicht monologisiert, sondern das Individuum rekonstruiert aktiv die Haltungen anderer. Dieser Prozess kann sich aber auch im Bewusstsein einer Person abspielen, was man als intrapersonal bezeichnet.

Das menschliche Bewusstsein
Für Mead setzt sich das Bewusstsein des Menschen aus mehreren Instanzen zusammen. Die reflexiven Bewusstseinsakte sind dabei das „Me und I“.
Das Me ist das „Ergebnis“ der Rollenübernahme. Es verkörpert das nur erkennende Selbst. Gäbe es im Menschen nur das Me, wäre Sozialisation monologisch. Dies wird jedoch von I verhindert, da dieses das „Objekt der Kenntnis“ ist.
Das I stellt daher die spontanen Kräfte im Handeln des Menschen dar. Es ist das Resultat der Erlebnisse der subjektiven Welt und nicht objektivierbar. Es verkörpert die unabdingbaren Voraussetzungen für Erfahrungen und ist dennoch nicht selbst Gegenstand der Erfahrung. Das I sorgt für neues Handeln und ist der Grund für das subjektive Bewusstsein für Freiheit. Weiterhin hat es das Vermögen über gesellschaftliche Normen hinwegzukommen und begründet außerdem die unverwechselbare Selbstdarstellung des Subjekts.

Interaktion und Identität
Menschen sind in der Lage dazu über sich selbst nachzudenken, Erfahrungen zu interpretieren und auch nachvollziehen zu können. Dies lernen sie durch die Interaktion mit Anderen. Dort eignet sich der Mensch neue Ansichten an und muss gleichzeitig auf das Neue reagieren. Es werden Informationen und Bedeutungen ausgetauscht, weil sich Menschen mit einander auseinandersetzen.
Die Identität ist für Mead demnach ein Resultat der Interaktion. Ein Identitätsproblem entsteht dann, wenn die Fremdäu0erungen nicht das Bild bestätigen, das das Subjekt von sich selbst hat. Doch auch die Komplikation lässt sich durch Interaktion lösen.
Die Ich-Identität ist der menschliche Ausdruck von Individualität durch die unabhängige und schöpferische Energie des I. Außerdem entsteht diese in einem ewigen Prozess und ist kein Produkt. Sie wird durch und in Interaktionen konstruiert, wobei das Subjekt sich selbst fragen muss: Wer bin ich und wer möchte ich sein?
Der Mensch muss ebenfalls fähig zur wechselseitigen Perspektivübernahme sein, die abhängig von der Fähigkeit zur menschlichen Kommunikation ist. Dabei ist die Sprache das gültige Symbolsystem. Kommunikation ist sinnstiftend und Sinn erhaltend, Sie stellt eine Möglichkeit dar sich über Normen, Regeln und Ziele der gemeinsamen Interaktion zu verständigen und findet ihren Zweck im Subjekt selbst. Durch die Interaktionen werden der Identitätserwerb und die Individualisierung in Zusammenhang gebracht. Das Ziel dabei ist die Ich-Identität und nicht die Rollenidentität.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Ich-Identität nicht nur durch das Bewältigen von Krisen entsteht, sondern sich auch in Interaktionen lokalisieren lässt. Eine Interaktion ist ein wechselseitiges „aufeinander Beziehen“ durch Sprache. Deswegen ist die sprachliche Kommunikation identitätsfördernd.

Der Ansatz des symbolischen Interaktionismus im Blick auf Entwicklung und Sozialisation
Meads Grundannahme ist, dass die Bedeutungen und Bilder der dinglichen und sozialen Umwelt Produkte von Interaktionen und Interaktionserfahrungen sind.
Die Voraussetzung für die „Reziprozität des Handelns“ ist, dass die an der Interaktion beteiligten Individuen oder Gruppen das selbe kulturell überlieferte Symbolsystem nutzen. So entsteht eine Möglichkeit der Verständigung über die individuellen und gemeinsamen Bedürfnisse und Erwartungen der Teilnehmer.
Das wichtigste Symbolsystem ist die Sprache.
Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das einen Geist (mind) und eine Identität (self) ausbilden kann. Allerdings sind Geist, Identität und Moral als gesellschaftliche Phänomene nur durch Sprache existent.

Individuum und Gesellschaft beeinflussen sich gegenseitig
Der Prozess der Sozialisation bedeutet, dass aus einen unbewusst kommunizierendem biologischem Individuum durch Geist und Identität ein bewusst kommunizierendes gesellschaftliches Individuum wird.
Dafür sorgt der Mechanismus der Rollenübernahme (role-taking).
Die Rollenübernahme ist die Voraussetzung für intelligentes Verhalten, weil durch die symbolische Interaktion Gesten ausgetauscht werden, die Mead „signifikante Symbole“ nennt. Diese haben für den Gegenüber exakt die selbe Bedeutung. So wird es dem Menschen möglich das Antwortverhalten des Anderen zu antizipieren und gegebenenfalls die Reaktion in das eigene Rollenverhalten aufzunehmen.

Sprachfähigkeit → Voraussetzung für Handlungsfähigkeit
Die Ich-Identität (Self) des Menschen ist ein soziales Produkt, welches sich in Interaktionsprozessen das Bild von sich selbst bewusst macht. Und zwar sowohl das, welches man vor anderen abgibt, als auch die Reaktionen darauf.

Die kindliche Entwicklung
Damit ein Kind seine Ich-Identität entwickeln kann, muss es verschiedene Phasen durchlaufen.
Beim Play imitiert das Kind die Beziehung zwischen ihm und seiner Mutter. Dies bezeichnet Mead als freies Rollenspiel.
Im Game werden dann Handlungen anderer Personen antizipiert, wie zum Beispiel vom Vater oder den Geschwistern. Dies sind die Rollen der „signifikanten Anderen“. Die Spiele folgen nun vorgegebenen Regeln.
Schließlich übernimmt das Kind auch die Rollen der „generalisierten Anderen“, welches der Ausdruck für die abstrakte Gemeinschaft aller Handelnden darstellt. So lernt das Kind die Rollen und Einstellungen, die die Gesellschaft von ihm erwartet.
Die Komponenten des Self (Me und I) stehen zu einander im Dialog und begründen so das menschliche Verhalten.
Der Geist (mind) entsteht durch die sprachlich fundierte Rollenübernahme in Interaktionsprozessen und bildet so die Grundlage für die Entstehung des Self.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Ziel des Sozialisationsprozesses die Entwicklung und Behauptung einer Ich-Identität ist. Das Kind findet sich in die Gesellschaft hinein und wird ein bewusstes Mitglied. Die Identitätsbildung ist dabei die aktive Lernleistung des Kindes.
Die Gesellschaft setzt sich demnach aus objektiven Gegebenheiten durch Sprache, Rollen und andere Symbolsysteme und einer subjektiven Wirklichkeit, die von der notwendigen Inbesitznahme des Einzelnen (Internalisierung der Rollen) geprägt ist, zusammen.


Aufgaben der Erziehung
Erziehung sollte die schrittweise Integration in die Gesellschaft nicht nur ermöglichen, sondern auch eine erfolgreiche Bewältigung unterstützen. Das Kind braucht tragfähige Beziehungen in der Familie und dem unmittelbaren Umfeld, Zuwendung und auch gewisse Handlungsfreiheiten. Es sollte spielerisch und (meistens) zwanglos in das soziale Leben der Gemeinschaft hineinwachsen.
Außerdem muss sich das Kind mit den gesellschaftlichen Anforderungen auseinandersetzen und sie erfüllen. Somit müssen Begegnungen mit den „generalisierten Anderen“ ermöglicht werden. Diese stellen Forderungen und setzen sie auch durch, was wichtige Lernerfahrungen für das Kind sind.
Der Mensch besitzt Sprache und Intelligenz und kann deswegen Eigenaktivität in Play und Game zeigen. Kinder müssen Herausfinden, wie sie im privaten und öffentlichen Raum Anpassungsanforderungen gerecht werden können.
Es darf jedoch nie Vergessen werden, dass Identität vom Kind selbst gebildet und entwickelt werden muss und nicht durch Erwachsene oder Pädagogen geformt werden kann. Mead nennt dies das „aktive Kind“.

Kritische Würdigung
Mead berücksichtigt in seiner Theorie keine Herrschafts- und Machtaspekte. Außerdem erwähnt er keine gesellschaftlichen Konflikte.
Die Schwierigkeit seiner Theorie liegt darin, dass die Erziehung zu gesellschaftlichem Denken und Handeln nur schwer möglich ist und seine Theorie eventuell kritikloses Unterwerfen fördern würde. Mead bedenkt nicht, dass das Verhalten der „generalisierten Anderen“ und deren Anforderungen zu Überforderung führen können.
Es wird weiterhin nicht hinterfragt, warum es soziale Ungleichheit gibt. Diese stellt aber unterschiedliche Anforderungen und Erwartungen an verschiedene Kinder und Jugendliche.
Seine Theorie gibt keine Antwort auf die Frage, welche Erziehungsstile in Familien und Institutionen welche Folgen für die Betroffenen auslösen, sowohl was die individuelle Persönlichkeit, als auch den Menschen als Mitglied der Gesellschaft angeht.
Dennoch dient das Modell von Mead als wesentliche Orientierungshilfe, um den Prozess des Hineinwachsens von Kindern und Jugendlichen in das gesellschaftliche Leben zu verstehen.

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