Erik
Erikson und Klaus Hurrelmann – Pädagogisches Denken und Handeln
zur Entwicklung im Jugend- und Erwachsenenalter
Eriksons
Entwicklungsmodell im Blick auf das Jugendalter
Für Erikson
sind einige Faktoren ausschlaggebend für eine dauerhafte
Ich-Identität. Das Kind muss in der oralen Phase (Freud) Vertrauen
gefasst haben und das Erwachsensein als ein Versprechen der Erfüllung
erleben. Außerdem sollte es auf jeder Stufe einen Zuwachs an
Ich-Stärke erlangt haben.
In der Phase der
Adoleszenz müssen die Jugendlichen die Krise zwischen
Identitätsbildung und Identitätsdiffusion lösen.
Die Bewältigung
der Krise bewirkt dann, dass der Jugendliche eine eigene Identität
und ein stabiles (kohärentes) Selbstbild ausgebildet hat, obwohl es
zu Verwirrungen durch die verschiedenen Rollenübernahmen und
physischen Veränderungen in der Pubertät kommt. Bewältigt der
Jugendliche die Krise nicht ausreichend, entsteht ein Selbstbild ohne
stabilen Kern.
Die Formulierung
„Freunde prägen Freunde“ (Schaubild) stellt das, dass
Jugendliche über die Interaktion mit Gleichaltrigen die soziale
Komponente ihrer Identität definieren. Daraus entwickeln sich
Antworten auf die Fragen: Welcher Typ Mensch bin ich? Welche
Beziehungen will ich pflegen?.
In der Phase der
Adoleszenz herrscht außerdem ein erhöhtes Konfliktpotenzial
zwischen dem Jugendlichen und seinen Eltern. Die Eltern wollen ihr
Kind vor schädlichen Einstellungen oder Verhaltensweisen schützen,
wobei die Jugendlichen immer mehr Werte und Verhaltensweisen der
Freunde übernehmen.
Während der
Pubertät werden dann alle Identifizierungen und Sicherungen des
Jugendlichen erneut in Frage gestellt , weil der rasche
Körperwachstum und die physische Geschlechtsreife den Jugendlichen
verunsichert. Er will seine sozialen Rollen festigen und vergleicht
deswegen sein Selbstgefühl mit dem Bild der Anderen. Aus diesem
Grund muss der Jugendliche eventuell die Kämpfe und Krisen der
früheren Phasen noch einmal bewältigen.
Die Integration
des Jugendlichen ist mehr als die Summe der
Kindheitsidentifikationen. Es stellt das innere Kapital und damit die
gesammelten Erfahrungen des Jugendlichen dar. Durch die erfolgreiche
Identifikation wird es möglich, dass der Jugendliche seine
Grundtriebe erfolgreich auf seine Begabungen und Chancen ausrichtet.
Dadurch kommt es zu einer Ich-Synthese. Die Werte des Ichs münden in
die Ich-Identität.
Das Gefühl der
Ich-Identität beschreibt dann das Vertrauen darauf, die innere
Einheitlichkeit dauerhaft halten zu können. Dieses Vertrauen wird
auch dadurch gefördert, dass andere einem diese Fähigkeit zutrauen.
Am Ende jeder
Hauptkrise sollte der Jugendliche ein bestätigtes Selbstgefühl
haben, welches ihm eine erreichbare Zukunft und eine Entwicklung zu
einer bestimmten Persönlichkeit offenbart. Mit jedem Schritt auf den
Entwicklungsstufen muss der Jugendliche ein belebendes
Realitätsgefühl entwickeln und so zu der Überzeugung kommen, dass
der eigene und individuelle Weg erfolgreich ist.
Der Jugendliche
braucht ernsthafte Anerkennung seines Umfelds und kann seine
Ich-Identität dadurch stärken. Wenn die Umgebung dem Jugendlichen
seine Ausdrucksmittel raubt, wird er sie verteidigen. Das
Lebensgefühl des Jugendlichen wird nur durch das Gefühl der
Ich-Identität vermittelt. Der Jugendliche sucht nach einem Gefühl
der Zugehörigkeit (z.B. in Cliquen, Banden, Massenbewegungen).
Zusammenfassend
lässt sich sagen, dass die Ich-Identität die gestufte Integration
aller Identifikationen aus der Kindheit ist. Manche Kinder erhalten
den Kern ihrer Identität schon sehr früh und verteidigen ihn dann.
Die Krisen der Kindheit und deren Phasen werden durch die
Ich-Identität verknüpft.
Zusammenfassung:
die Adoleszenz (13. - 20. Lebensjahr)
Um die Krise der
Adoleszenz bewältigen zu können, sind Elemente aus den vorherigen
Phasen notwendig: Vertrauen, Autonomie, Initiative und Fleiß. Der
Körper und die Umwelt verändern sich und der Jugendliche macht sich
eigenständig auf die Suche nach seiner Identität.
Die Identität
sollte auf der Grundlage neuer sozialer Rollen gefunden werden. Die
Gesellschaft stellt Forderungen an den Jugendlichen, die er erfüllen
muss (Anpassungsleistungen). Sie gewährt ihm aber auch ein
psychosoziales Moratorium (Aufschub), damit der Jugendliche seinen
Platz in der Gesellschaft finden kann. Der Jugendliche setzt sich
außerdem mit seinen Bezugspersonen und der Gleichaltrigengruppe,
sowie dem anderen Geschlecht und seiner Rolle im Beruf, auseinander
und stellt dies in Frage.
Wichtig für die
Identitätsbildung ist auch die Anerkennung durch die Gesellschaft.
Wird der Jugendliche abgelehnt, wird der Prozess gestört,
unterbrochen oder verzögert. In dieser Phase haben die Peers
(Gleichaltrigen) die bedeutendste Rolle. Innerhalb einer Gruppe gibt
es strenge Regeln, die eingehalten werden müssen. Außerdem
entwickeln die Jugendlichen ein Gefühl der Intoleranz gegenüber
anderen Gruppen, weil sie das Gefühl der Identitätsverwirrung
abwehren wollen.
Aus der
beschleunigten körperlichen Entwicklung folgt die Frage „Wer bin
ich?“. Die Antwort darauf entsteht, indem der Jugendliche seine
bisher gesammelten Erfahrungen aus den bewältigten Krisen zu einer
Ich-Identität zusammenfügt. Voraussetzung für eine gute
Identitätsbildung ist, dass der Jugendliche möglichst viele
positive Erfahrungen gemacht hat und deswegen über ein gesundes
Selbstvertrauen verfügt. Ist dies nicht der Fall, kommt es zu einer
Identitätsdiffusion und eine Ich-Identität ohne stabilen Kern
entsteht. Solche Jugendliche schließen sich gern Gruppen mit klaren
Strukturen an.
Das
sozialisationstheoretische Konzept des produktiv verarbeitenden
Subjekts nach Hurrelmann
Für Hurrelmann
entsteht die Persönlichkeitsentwicklung durch ein Verhältnis und
Zusammenspiel von äußerer und innerer Realität.
Der Ansatz
Ziel der
Persönlichkeitsentwicklung ist die Entwicklung zu einem
gesellschaftlich handlungsfähigen Subjekt. Dazu wird die Differenz
zwischen äußerer und innerer Realität verarbeitet. Das Subjekt
reflektiert sich selbst in einem Prozess aus endogenen und exogenen
Impulsen. Die Wechselwirkung zwischen Umwelt und Individuum
(Person-Umwelt-Beziehung) hat Auswirkungen. Die Umwelt verändert
sich ständig und beeinflusst so die Aktivitäten der Anderen.
Deswegen ist eine ständige Abstimmung zwischen den
Umweltanforderungen und den eigenen Interessen notwendig. Das Subjekt
muss sich produktiv mit der sozialen und dinglich-materiellen Umwelt
auseinandersetzen.
Für Hurrelmann
sind die Individuation und die Integration eng miteinander verbunden.
Die Persönlichkeit ist ein spezifisches Gefüge von Merkmalen,
Eigenschaften, Einstellungen, Fertigkeiten und Handlungskonzepten,
die auf der Grundlage einer biologischen und psychischen Ausstattung
durch bewältigte Aufgaben entstehen. Die Persönlichkeitsentwicklung
ist eine sequenzenhafte und langfristige Veränderung dieses Gefüges
. Die soziale Integration wiederum ist die Anpassung an die
gesellschaftlichen Werte und Normen und Verhaltensstandards.
Die
Individuation ist subjektiv und stellt den Aufbau einer individuellen
Persönlichkeitsstruktur dar, die individuelle kognitive,
motivationale, sprachliche, moralische und soziale Merkmale und
Kompetenzen miteinbezieht.
Der Übergang in
das Erwachsenenalter ist dann erfolgreich, wenn alle
Entwicklungsaufgaben gelöst sind und die psychosomatischen
Veränderungen und der Prozess der inneren Ablösung (von den Eltern)
abgeschlossen ist. Dann hat der Jugendliche die Krise der Adoleszenz
bewältigt.
Der Kernkonflikt
des Jugendalters ist die Gewinnung der Identität. Während dieser
Phase muss der Mensch in seinem Lebenslauf (nach Hurrelmann)
verschieden Entwicklungsaufgaben meistern.
- Entwicklung von einer intellektuellen und sozialen KompetenzDer Jugendliche erlangt schulische und berufliche Qualifikationen und findet einer Erwerbsarbeit. So ist eine Basis für eine selbstständige Existenz als Erwachsener gesichert.
- Entwicklung einer eigenen Geschlechterrolle und des sozialen Bindeverhaltens zu Gleichaltrigen des eigenen und anderen GeschlechtsDurch den Aufbau einer heterosexuellen Partnerbeziehung sichert sich der Jugendliche eine Basis für die Erziehung der eigenen Kinder.
- Entwicklung eines Normen- und WertesystemsDer Jugendliche muss ein politisches und ethisches Bewusstsein entwickeln, welches einmal in Übereinstimmung zu seinem eigenen Verhalten steht und auch die Grundlage für verantwortliches Verhalten in diesem Bereich darstellt.
- Entwicklung von eigenen Handlungsmustern für die Nutzung des Konsumwarenmarktes und des kulturellen FreizeitmarktesDer Jugendliche muss den Umgang mit Medien, Genussmitteln und anderen Aspekten der Konsumgesellschaft lernen. Das Ziel dabei ist, einen eigenen Lebensstil und einen selbstständig gesteuerten Umgang mit den Angeboten zu entwickeln, welcher an den Bedürfnissen orientiert ist.
Die Maximen
nach Hurrelmann
Im Unterricht
haben wir in Gruppenarbeit die Maximen nach Hurrelmann durch
Schaubilder dargestellt.
Die erste
Maxime:
Die zweite
Maxime:
Die
Entwicklungsaufgabe dieser Maxime ist die Verarbeitung der inneren
und äußeren Anforderungen, die ein Jugendlicher bei der
Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen zu erfüllen hat.
Das Ziel dabei
ist die Entwicklung von Formen und Strategien der Selbstorganisation,
die als Muster für die Lebensführung gelten können.
Die dritte
Maxime:
Die Vierte
Maxime:
In der vierten
Maxime befinden sich die Jugendlichen im Aufbau ihrer sozialen und
personalen Identität. Sie sollen ein stabiles und schlüssiges
Selbstbild herstellen.
Die fünfte
Maxime:
Diese Maxime
zeigt die krisenhaften formen der Sozialisation im Jugendalter.
Immer mehr
Jugendliche sind mit der komplexen Kombination der
Entwicklungsaufgaben überfordert. Sie verfügen über keine
personalen oder sozialen Ressourcen für einen erfolgreichen
Bewältigungsprozess.
Diese
Entwicklungsstörungen sind die Folge der selbst gesteuerten
Lebensführung der Jugendlichen und die damit verbundene Chance zur
individuellen Gestaltung.
Die sechste
Maxime:
Die
Entwicklungsaufgabe dieser Maxime ist das Spannungsverhältnis
zwischen den Individuations- und Integrationsanforderungen
abzuarbeiten. Die Voraussetzung dafür ist, dass die Jugendlichen
individuelle Bewältigungsfähigkeiten (personale Ressourcen) und die
Unterstützung durch wichtige Bezugsgruppen (soziale Ressourcen)
haben.
Die Problematik
dahinter ist, dass es Widersprüche von körperlicher und psychischer
Entwicklung und den Erwartungen der Umwelt an den Jugendlichen gibt.
Die komplexen Vorgaben und Erwartungen sind teilweise widersprüchlich
oder nicht eindeutig und erschweren so die permanente Neuorganisation
der Persönlichkeitsstruktur. Die Jugendlichen müssen sich wegen der
Komplexität die Erwartungen und Vorgaben der Umwelt durch
eigenaktives Verhalten selbst erschließen.
Die siebte
Maxime:
Die achte
Maxime:
Die neunte
Maxime:
Die neunte
Maxime bezieht sich auf die Spaltung der Jugend. Die Gründe dafür
sind der schnelle soziale Wandel, die soziale und ethnische Vielfalt
und die stärkeren ökonomischen Ungleichheiten.
Die zehnte
Maxime:
Die zehnte
Maxime zeigt, dass sich die geschlechtsspezifischen Ungleichheiten zu
Gunsten der Frauen verschieben.
Die
Entwicklungs- und Sozialisationsprobleme
Eigentlich haben
die Jugendlichen in der ersten Welt günstige Lebensbedingungen.
Ihnen steht eine üppige Materialausstattung und große Spielräume
für die Selbstentfaltung zur Verfügung.
Die
„Nebenwirkungen“ der modernen Lebensweise sind jedoch unter
anderem, dass die psychischen Krankheiten und Auffälligkeiten bei
Jugendlichen zunehmen, obwohl es höhere Lebensstandards, ein
besseres Bildungswesen, gute medizinische und psychologische Beratung
und Hilfe gibt.
Die Fähigkeiten
des Jugendlichen reichen nicht, um die Umweltanforderungen bzw. den
Entwicklungsdruck zu bewältigen. Dies führt zu Beeinträchtigungen
von Körper und Seele. Die Folge sind Anspannung, Konflikte in
Familie, Schule und Freizeit. Ein weiterer Effekt ist, dass das
Suchtverhalten bei Jugendlichen zunimmt. Zigaretten und Alkohol
dienen als Tröster, die gravierende Langzeitfolgen haben.
Das Streben nach
Salutogenese, also die Entwicklung der Gesundheit, wird
vernachlässigt, weil der Entwicklungsdruck zu groß ist.
Die Ursachen
dafür sind das Zusammenwirken von genetischen Anlagen und sozialer
und psychischer Überlastung. Dies ist ein Signal für Stress und die
Überstrapazierung der Fertig- und Fähigkeiten. Die „Kosten der
modernen Lebensweise“ sind die Probleme der Jugendlichen, die nicht
ein ausreichendes Ausmaß an Würde, Achtung und freier
Persönlichkeitsentfaltung bekommen, die aber notwendig für eine
gesunde Entwicklung ist, weil Jugendliche ein Bedürfnis nach
Anerkennung, Zuwendung, Sicherheit und Sinnerfüllung haben. Die
Schlüsselrolle dafür, stellt das Zusammenleben in der Familie dar.
Eltern werden ihrer Rolle und Verantwortung nicht gerecht. Die
Eltern-Kind-Beziehung wird instabiler und die Jugendlichen müssen
zusätzlich eventuell noch Trennungen bewältigen.
Der Hintergrund
zu dieser Entwicklung ist, dass Erwachsene zu sehr nach ihrem
persönlichen Glück und der Selbsterfüllung streben. In Trennungen
und Beziehungsverlust leiden die Kinder am meisten. Außerdem setzen
die sozialen und psychischen Anspannungen in der Schule die Kinder
weiter unter Druck. Sie müssen mechanischen Leistungsforderungen
gerecht werden, wobei die Unterrichtsinhalte nicht den Interessen der
Kinder entsprechen. Außerdem fungiert Schule fast nur noch
ausschließlich als Einrichtung der Wissensvermittlung. Die Eltern
erwarten gute Noten, was zusätzlichen Druck und Stresserkrankungen
auslöst.
Die Jugendlichen
stürzen in Sinn- und Orientierungskrisen. Eigentlich sind sie
verwirrt und überfordert, geben sich aber cool und beherrscht. Es
ist ihnen nicht mehr möglich objektive Zukunftspläne oder
Aussichten zu machen, was zum Beispiel Beruf, Familie oder Ziele
angeht. Deswegen improvisieren sie, denken permanent um oder fangen
ständig neu an. Sie schieben die Entscheidung durch lange
Ausbildungen oder Zusatzqualifikationen hinaus.
In den
extremsten Fällen kommt es so zu einer Demoralisierung, weil der
Jugendliche nicht genug Widerstandskraft (Resilienz) hat. Er kommt
nicht mit der spannungsreichen, Reiz überfluteten Lebenswelt
zurecht. Ihm fehlen moralische, religiöse und politische
Orientierungen und Werte, die sinngebend und identitätsstiftend für
das eigene Leben wären. Die Folge davon ist ein verunsichertes
Selbstbild und Selbstwertgefühl.
Wann ist
Sozialisation erfolgreich?
Die Grundlage
für eine erfolgreiche Sozialisation ist ein aktives und flexibles
bemühen des Individuums Schwierigkeiten zu bewältigen. Eine
Voraussetzung für eine gelungene Sozialisation ist eine möglichst
große Resilienz (Widerstandskraft), auf deren Basis viele
verschiedene Bewältigungsstrategien entwickelt werden können.
Variationsreichtum führt zu einer guten Selbstkontrolle, einer
sozialen Aufgeschlossenheit und der Bereitschaft sich unterstützen
zu lassen (praktisch und emotional). Die Gesundheit (Salutogenese)
bezeichnet den Einklang zwischen körperlicher und sozialer
Entwicklung mit den Voraussetzungen und Bedingungen des einzelnen
Individuums. Diese Symbiose und die reflexive Auseinandersetzung mit
den Selbst gewährleistet eine gelungene Sozialisation.
Zwischen
Moratorium und Transition
Das folgende
Schaubild zeigt eine Kombination von Konzepten im Übergang zum
Erwachsenenalter.
Das Moratorium
bezeichnet den Rückzug in den Schonraum der Jugendphase. Der
Jugendliche schirmt sich vor der gesellschaftlichen Verantwortung ab
und nimmt sich eine Auszeit.
Die Transition
beschreibt einen raschen Übergang in den Erwachsenenstatus. Der
Jugendliche orientiert sich Standards von mittleren und älteren
Generationen.
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