Donnerstag, 8. Mai 2014

Stierlin

Möglichkeiten der Grenzen der pädagogischen Förderung von Entwicklungsprozessen aus systemischer Sicht

Grundannahmen systemischer Therapie
Die systemische Therapie betrachtet die Wechselbeziehungen zwischen Menschen. Deren individuelle Eigenschaften „verflüssigen“ sich zu Elementen eines dynamischen Geschehens. Durch ihre Verhaltensweisen tragen die Mitglieder eines Systems zur Organisation bei. Diese und deren Folgen werden durch textgebundene Etikettierungen und Zuschreibungen ausgedrückt.
Es eröffnen sich außerdem immer wieder neue Zusammenhänge. Der Versuch zu beschreiben, wie sich Verhaltensweisen gegenseitig bedingen nennt sich „Gestaltkreis“. Dieser Kreisprozess, in dem die Kette der Ursachen und Folgen in sich zurück läuft, wird in Bezug auf das Gestalt-Sein des Vorgangs gesetzt.
Die Selbstreferenz dabei beschreibt, dass Annahmen und Verhaltensweisen auf sich selbst zurück wirken. Deswegen sind einseitige Schuldzuweisungen ausgeschlossen.
Weiterhin ist menschliches Verhalten Regeln unterworfen. Die Einbeziehungen in den Kontakt geben dem Verhalten einen Sinn.
Des Weiteren gestaltet jeder Mensch seine Situationen selbst mit und ist nicht Opfer der Umstände.
Durch die Anwesenheit anderer Mitglieder in einem System werden die Handlungsspielräume eingeschränkt. Außerdem können Problemlösungsversuche das Problem auch aufrecht erhalten.
Systeme sind jedoch geordnete Ganzheiten. Die systemische Therapie setzt sich damit auseinander, welche Systeme Probleme haben und welche Personen im System mit den Problemen zu tun haben.

Jugendkrisen systemisch betrachtet
  • Verbundenheit der Elemente, Holismus
    Systeme sind Ganzheiten, deswegen führt die Veränderung des Einzelnen auch zu einer Änderung des gesamten Systems
  • Zielorientierung und Prozess
    Prozesse finden dauerhaft statt. Dabei beschreibt die progressive Segregation den Schritt in Richtung Desintegration. Die progressive Systemintegration hingegen stellt den Schritt in die Richtung der Ganzheit dar
  • Regulierung
    Ein System hat auch selbstregulierende Prozesse. Die morphostatischen Kräfte sorgen für die Erhaltung des Gleichgewichts und die morphogenetischen Kräfte zeigen, dass durch Regeländerung Entwicklungen und Anpassungen folgen
  • Homöostase
    Dieser begriff beschreibt ein Gleichgewicht, was jedoch nur ein kurzfristiger Zustand ist. In Systemen gibt es ein harmonisches Wechselspiel zwischen Gleichgewicht und Ungleichgewicht. Jeder Konflikt stellt dabei eine Chance dar.
  • Kalibrierung und Stufenfunktion
    Systeme entwickeln sich in Sprüngen. Es gibt inter- und außerfamiliäre Entwicklungen, die jeweils Herausforderungen mit sich bringen
  • Hierarchie
    Systeme sind in Subsysteme zerlegbar, die als einzelne Systeme betrachtet werden müssen.
  • Regeln
    Regeln sind die Wege, mit denen ein System die Balance hält. Man unterscheidet offen/explizite und verdeckte/implizite (unbewusste) Regeln. Innerhalb eines Systems müssen sich die Mitglieder die impliziten Regeln bewusst machen

Helm Stierlin

Zwei Prozesse/Kräfte in Familien

Nach der Theorie von Helm Stierlin gibt es zwei verschiedene Prozesse oder Kräfte in Familien. Diese nennt er zentripetal und zentrifugal.
Die zentripetale Kraft bedeutet die Verstrickung, Bindung, Verwöhnung und Verschmelzung eines Systems. Dabei kann sogar Individuation als „Verrat“ angesehen werden. Dies kann eher psychosomatische Störungen auslösen, wie zum Beispiel Magersucht als „Lösungsversuch“.
Der zentrifugale Prozess beschreibt die Ausstoßung, Vernachlässigung und Isolation, die in einem System herrschen kann. Eine Konsequenz davon kann sein, dass die Mitglieder die Familie frühzeitig verlassen. Durch derartige Kräfte entstehen eher psychosoziale Störungen, wie zum Beispiel die Jugendkriminalität. In diesem Fall wird Dissozialität als „Lösungsversuch“ benutzt.

Bezogene Individuation“
Dieser Begriff beschreibt die Selbstständigkeit und doch auch Zugehörigkeit in „gesunden“ Familien. Die Kennzeichen dafür sind:
  • die durchlässigen Grenzen der Familie nach außen
  • die klaren und flexiblen Grenzen innerhalb der Familie,
    die je nach Alter verhandelbar sind
  • die Offenheit für Neues und neue Familienmitglieder

Individuation und Delegation
Die Jugendlichen stehen zwischen Individuation, was die Ablösung vom Elternhaus beschreibt, und Delegation (die Erfüllung elterlicher Wünsche und Aufträge: Loyalität bis zur Selbstaufgabe).
Die Individuation ist in verstrickten, rigiden und konfliktvermeidenden Familien nur sehr schwer möglich. Sie wird als „Verrat“ oder Illoyalität nach dem Motto: „Du enttäuscht uns“ gesehen. Ein Ausweg kann für den Jugendlichen zum Beispiel die Magersucht sein. So entsteht die Individuation durch die Selbstaufgabe statt durch offenen Protest.
In ausstoßenden Familien dagegen gibt es zu wenig Bindung, dass bedeutet, dass die Jugendlichen unter Haltlosigkeit und Delinquenz leiden. Sie suchen eventuelle alternativ Halt und Zugehörigkeit in Cliquen.

Verstrickte/verstrickende, symbiotische Familie
In solchen Familien werden die Mitglieder verwöhnt, indem sie eine zu reiche Bedürfnisbefriedigung erfahren. Außerdem werden bindend wirkende Zuschreibungen bestimmter Eigenschaften, wie Schwäche, Bosheit und Verrücktheit gemacht.
In den Familien gibt es keine klaren Generationsgrenzen, aber eine starre Abgrenzung nach au0ßen („Wir lassen keinen rein!“). Es gibt überwiegend Einstellungen, wie: „Wir sind immer alle füreinander da – Keiner macht was für sich allein – Alle wissen immer alles voneinander – Es gibt keine Geheimnisse, auch keine geschlossenen Türen“. In den Familien steht die Meinung, dass jeder für das Wohl der anderen verantwortlich ist, sich keiner alleine fühlen darf und es keinen Egoismus geben darf, vor. Es herrscht eine generelle „Auf die Welt draußen kann man sich nicht verlassen“- Moralität.
Demnach fusioniert eine verstrickte/verstrickende oder symbiotische Familie sehr stark.

Ausstoßende, vernachlässigende oder losgelöste Familie (Überindividuation)
In diesen Familien werden die einzelnen Mitglieder vernachlässigt. Dies geschieht durch mangelnde Bedürfnisbefriedigung oder völliges Desinteresse an Gedanken, Gefühlen und Wahrnehmungen der anderen.
Jedes Familienmitglied hat ein eigenes Zimmer und eventuelle sogar getrennte Kassen. Außerdem unterscheiden sich die Freunde und Interessen sehr stark, weshalb es keine oder kaum Überschneidungen gibt. Generell kümmern sich die Familienmitglieder wenig umeinander. Jeder muss selbst sehen, wie er zurecht kommt. Außerdem grenzen sich die Familienmitglieder auch offen voneinander ab („Das ist ja wohl meine Sache!“ / „Das geht dich gar nichts an!“ / „Mach, was du willst, du bist alt genug!“ / „Ich hab keine Zeit oder Lust für so etwas!“)
Dementsprechend ist eine ausstoßende/vernachlässigende oder losgelöste Familie zu stark isoliert.

Ambivalente Familie
In einer ambivalenten Familie gibt es häufig „Double-bind“-Aufträge. Das bedeutet, dass die Eltern widersprüchliche Aufträge geben, was zu Verwirrung führt.

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