Krappmann

Lothar Krappmann – Entstehung und Förderung von Identität und Mündigkeit

Entwicklung in der Gesellschaft: Sozialisation
Von der ersten Minute an lebt und entwickelt sich der Mensch unter Mitmenschen und zwar nicht nur in der Familie, sondern auch darüber hinaus in der Gesellschaft. Er wird mit Regeln und der notwendigen Bewältigung gesellschaftlicher Verhaltenserwartungen konfrontiert. Diese Erwartungen wiederum entstehen durch Wirtschaft, Politik und Recht.
Die Aufgabe der Pädagogik ist es einmal eine angemessene Bewältigung dieser Ansprüche möglich zu machen und außerdem mit den Erwartungen kritisch umzugehen. Das Ziel dabei ist die Weiterentwicklung und Korrektur der gesellschaftlichen Verhaltenserwartungen.
Die Aufgabe der Erziehungswissenschaft ist die kritische Betrachtung der Praktiken von Politik, Recht und Ökonomie aus pädagogischer Sicht.
Sozialisationsmodelle stellen also demnach entweder Fragen nach der Entwicklung der Gesellschaft oder nach den Entwicklungen von Kindern und Jungendlochen in der Gesellschaft. Diese Modelle müssen notwendiger Weise aus pädagogischer Sicht gedeutet werden.

Das Rollenkonzept des soziologischen Interaktionismus
Krappmann stellt sich die Frage, wie Menschen sich selbst in ihrem eigenen Interesse innerhalb einer Gesellschaft verändern und weiterentwickeln können. Dazu greift er Meads Theorie zur Sozialisation wieder auf.
Nach Mead besteht das menschliche Ich aus:
  • ME = Betrachtung des Individuums durch die Mitmenschen
  • I = Impulsives Ich (spontane Reaktion auf Erfahrungen)
  • SELF = Vermittler zwischen ME und I
Krappmann ergänzt zu Meads Modell, dass ME und I nicht zwangsläufig Gegensatzpaare sein müssen, da das ME dem I Entfaltungsmöglichkeiten bietet. Der Mensch kann die Erwartungen seiner Mitmenschen erfüllen und gleichzeitig seine Triebimpulse erfüllen. Durch die Reflexion der gesellschaftlichen Bedingungen erkennt Krappmann, dass Identitätsbildung nur in Gesellschaften möglich ist, die keine „totalen Institutionen“ sind. Außerdem sind die Rollenerwartungen an Menschen häufig nicht eindeutig oder widerspruchsfrei.
Für Krappmann haben die Gestik, Mimik und Sprache des Menschen deswegen eine besonders hohe Bedeutung. Durch sie ist die Verständigung über Ansprüche, Anforderungen und Wünsche, die notwendig ist, möglich. Menschen sind in der Lage dazu, ständig über die geltenden und verbindlichen Anforderungen wieder zu verhandeln. Für den Menschen ist es besonders wichtig, dass er sich selbst darstellen kann und auch seine eigenen Interessen und Bedürfnisse vertreten darf.

Role-taking ↔ Role-making
Für Krappmann muss der Mensch auf dieser Basis die Erfahrung machen, dass er nicht nur Rollen in der Gesellschaft übernehmen kann und muss, sondern auch in der Lage ist, eigene Rollen selbst zu kreieren. Das Gestalten dieser Rollen stellt dabei einen „Balanceakt“ zwischen den Erwartungen der anderen und den eigenen Interessen und Bedürfnissen dar.
Krappmann ist weiterhin der Meinung, dass der Mensch in der Interaktion mit anderen („Rollenspiel“) keine festen und vorgegebenen Rollen vorfindet. Er muss sich mit den anderen „Rollenspielern“ über die Ausgestaltung verständigen, wobei das wichtigste Hilfsmittel wieder dir Sprache ist.
Außerdem sind die Rollenerwartungen nicht mit der Bedürfniserfüllung gleichzusetzen. Der Mensch muss die Voraussetzung und Fähigkeit erfüllen, dass er in der Lage dazu ist seine Bedürfnisse sinnvoll mit den Rollenerwartungen zu verbinden.
Identität entsteht schließlich durch die Selbsterarbeitung durch und in immer neuen „Rollenspielen“. Dabei werden Werte nicht unmittelbar, sondern in Interaktionsprozessen aufgenommen. Trotzdem gelten aber auch immer noch die sozialen Normen.
Familie ist für Krappmann wieder der erste Ort der Sozialisation. Das Kind erlebt die Eltern als Mutter und Vater und lernt, dass es die Elternteile unterschiedlich behandeln kann. Außerdem differenziert es seine Verhaltensmuster weiter gegenüber Geschwistern, Großeltern und anderen Verwandten.
Das Kind macht die Lernerfahrung, dass Rollenerwartungen sich widersprechen können und die Anforderungen der anderen den eigenen Bedürfnissen entgegen stehe. Außerdem erfährt es, dass das Bedürfnis Einmaligkeit zu zeigen nicht unbedingt die Anerkennung der anderen mit sich bringt.
Die Voraussetzung für die Selbstdarstellung ist, dass der Mensch seinen Mitmenschen gerecht werden kann. Das wiederum setzt die gelungene „Interpretation des Gegenüber“, also der Menschen der Umgebung“, voraus.

Die vier identitätsfördernden Fähigkeiten“
Damit der Mensch seine Identität sinnvoll ausbilden kann, nennt Krappmann vier Fähigkeiten, die diesen Vorgang unterstützen.
  1. Rollendistanz
    Die Fähigkeit des Menschen sich selbst distanziert betrachten zu können, um
    so eine irreale Selbsteinschätzung zu verhindern.
  2. Ambiguitätstoleranz
    Das Vermögen es aushalten zu können, dass andere anders denken, empfinden und handeln, als man es selbst für richtig hält.
    Das bedeutet allerdings nicht, dass der Mensch alles Verhalten tolerieren soll. Gegebenenfalls soll er in der Lage sein Verhalten auch zu kritisieren.
    Diese Fähigkeit beschreibt die Anerkennung der notwendigen Auseinandersetzung mit denjenigen, dessen Denken und Handeln für einen selbst falsch ist.
  3. Identitätsdarstellung
    Die Darstellung von sich selbst als einmalige Person. Dies ist gerade in Konflikten möglich.
  4. Role-taking / Empathie
    Das Ziel des Menschen sollte unter anderem sein, Menschen in ihren Handlungsmotiven zu verstehen und die eigene soziale Rolle zu erkennen. Empathie meint in diesem Zusammenhang die Berücksichtigung von Rollenerwartungen.
Das Erlernen der Fähigkeiten
Die Förderung des Denkens bewirkt auch eine Förderung der Empathiefähigkeit. Dafür sind sprachliche Kompetenzen wiederum wichtig und notwendig. Die Sprachförderungen unterstützt also auch die Ausbildung der vier Fähigkeiten. Zum Beispiel fördert ein reflexiver Sprachgebrauch auch das Bewusstsein für die Differenz zwischen Aussagen und den Motiven, die zu den Aussagen führen.
Außerdem ist emotionale Sicherheit wichtig für die Lernprozesse. Dies entsteht durch das Streben der Menschen nach einem Höchstmaß an Bedürfnisbefriedigung für die anderen.
Ein anderer wichtiger Punkt für die Entwicklung ist die Bedeutung der Gleichaltrigengruppe. Krappmann hält diese für pädagogisch bedeutend, da sie die Möglichkeit bieten neue Rollen zu übernehmen, die sich außerdem von denen in der Familie unterscheiden. Durch die Konflikte mit Kindern im selben Alter macht das Kind wichtige Lernerfahrungen.



Kritische Würdigung
Aus Krappmanns Theorie lassen sich einige pädagogische Konsequenzen ziehen. Zum Einen, dass der Mensch nicht auf bestimmte Rollen und Verhaltensweisen festgelegt ist, sondern das Wählen von Rollen und die Selbstgestaltung lernen kann und muss. Außerdem wird dargelegt, wie das Kind darin unterstützt werden kann, die identitätsförderndenden Fähigkeiten auszubilden. Dies ist jedoch noch nicht in jungen Jahren möglich, kann aber pädagogisch vorbereitet werden.
Allerdings bedeutet die Ausbildung der Fähigkeiten allein nicht, dass ein Mensch Mündigkeit erreicht hat. Mündigkeit setzt eine aktive Auseinandersetzung mit den Fragen der Moral voraus, wozu wiederum Bildung notwendig ist.

2 Kommentare: